Kreditunwürdig im Sinne der Regeln über den Eigenkapitalersatz kann eine Gesellschaft nur dann sein, wenn sie tatsächlich einen Kredit benötigt. Ein Kreditbedarf, der nur aufgrund zu gering kalkulierter Abschlagszahlungen des Gesellschafters oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens entstanden ist und der nachträglich bei richtiger Betrachtungsweise entfällt, reicht dafür nicht aus.
Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem Fall, in dem die Regeln über den Eigenkapitalersatz noch anwendbar sind, weil das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) am 1.11.2008 eröffnet worden ist.
Ein ständiges Stehenlassen von fälligen Forderungen stellt – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – in Höhe des Durchschnittssaldos eine eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfe dar, die sowohl zur Anwendbarkeit der §§ 30, 31 GmbHG aF als auch der § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO aF, § 32a Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 GmbHG aF führt. Denn der Gesellschafter gibt der Gesellschaft mit diesem fortlaufend bestehen bleibenden Kredit zwar nicht in Höhe der jeweiligen Einzelforderung, wohl aber in Höhe der Gesamtdurchschnittsforderung eine Überlebenshilfe, die es rechtfertigt, die Durchschnittsforderung wie Eigenkapital zu behandeln.
Dabei unterliegt auch eine Gesellschaft, die nicht Gesellschafterin, sondern nur Schwestergesellschaft der Schuldnerin ist, den Regeln über den Eigenkapitalersatz. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird ein mit dem Gesellschafter verbundenes Unternehmen, auf das der Gesellschafter kraft der gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung seiner Beteiligung einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, gemäß § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG aF wie ein Gesellschafter behandelt. So liegt es hier. Beide Gesellschaften hatten denselben Alleingesellschafter.
Eine Krise im Sinne des § 32a Abs. 1 GmbHG aF liegt dann vor, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Kapitalüberlassung oder des “Stehenlassens” des Kapitals insolvenzreif oder kreditunwürdig ist. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Schuldnerin insolvenzreif war. Für das Revisionsverfahren ist somit davon auszugehen, dass eine Insolvenzreife bis zu der Saldierung der Forderungen aufgrund der Gutschrift der Schuldnerin im März 2007 nicht bestanden hat.
Bei seiner Annahme, die Schuldnerin sei jedenfalls ab Ende 2006 kreditunwürdig gewesen, hat das Berufungsgericht zum einen nicht beachtet, dass eine Krise während des gesamten Zeitraums bestanden haben muss, für den die stehen gelassene Durchschnittsforderung geltend gemacht wird. Tritt die Krise erst am Ende dieses Zeitraums ein, ist es nicht gerechtfertigt, die Durchschnittsforderung wie funktionelles Eigenkapital zu behandeln. Diese Funktion kann sie nur haben, wenn sie insgesamt in der Krise stehengelassen worden ist.
Zum anderen hat das Berufungsgericht nicht gesehen, dass von einer Kreditunwürdigkeit im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts nur dann ausgegangen werden kann, wenn die Gesellschaft tatsächlich einen Kredit benötigt. Denn es geht bei dem Merkmal der Kreditunwürdigkeit darum festzustellen, ob die Gesellschaft einen zur Fortführung ihres Geschäftsbetriebs erforderlichen Kreditbedarf nicht aus eigener Kraft decken kann und deshalb liquidiert werden müsste, wenn nicht der Gesellschafter mit seiner Leistung einspringt oder eingesprungen wäre.
Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Schuldnerin im hier entscheidungserheblichen Zeitraum einen solchen Kreditbedarf hatte. Davon wäre zwar ohne weiteres auszugehen, wenn die Schuldnerin tatsächlich im gesamten Jahr 2006 einen durchschnittlichen Kredit ihrer Schwestergesellschaft in Höhe von 911.290,45 € in Anspruch genommen hätte. Die monatlichen Salden des zwischen den beiden Gesellschaften geführten Verrechnungskontos reichen für diesen Schluss aber nicht aus.
Nach dem Vortrag der Beklagten, der für das Revisionsverfahren als wahr zu unterstellen ist, hatte sie mit der Schuldnerin vereinbart, dass für die Fahrradmontage eine Vergütung in Höhe der Selbstkosten der Schuldnerin gezahlt werden sollte und dass auf diese Vergütungsforderung deren genaue Höhe sich erst errechnen ließ, wenn die Gesamtstückzahl der im Jahr 2006 montierten Räder bekannt warein Abschlag in Höhe von 18,00 € pro Rad fällig werden sollte. Zu Beginn des Jahres 2007 hat sich dann ergeben, dass die Selbstkosten pro Stück nicht 18,00 €, sondern 27,28 € betragen haben. Damit war klar, dass der Abschlag von 18,00 € um 34 % zu gering kalkuliert war. Wären sogleich 27,28 € pro Rad gezahlt worden, hätte das gemeinsame Verrechnungskonto nach den vom Landgericht festgestellten Kontoständen überwiegend einen Saldo zugunsten der Schuldnerin aufgewiesen.
Bei dieser Sachlage bestand nur vordergründig ein Kreditbedarf der Schuldnerin. Jedenfalls für die Beklagte, die aufgrund der für sie günstigen Absprache zunächst nur rund 2/3 des vereinbarten Endpreises für die Radmontage zahlen musste, stand keinesfalls fest, dass der Durchschnittssaldo des Verrechnungskontos bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise endgültig ihr zustand. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Auch im März 2007 wies das Verrechnungskonto nach der Einstellung der restlichen Vergütungsforderung einen Saldo zugunsten der Schuldnerin in Höhe von 55.441,23 € auf.
Ob die Beklagte wie die Revision meint gegen Treu und Glauben verstoßen hätte, wenn sie die Saldoforderungen aus dem Verrechnungskonto gegen die Schuldnerin geltend gemacht hätte, kann offen bleiben. Jedenfalls ist es nicht gerechtfertigt, im Rahmen der Eigenkapitalersatzregeln auf einen Kreditbedarf abzustellen, der nur aufgrund zu gering kalkulierter Abschlagszahlungen des Gesellschafters oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens entstanden ist und der nachträglich bei richtiger Betrachtungsweise entfällt.
Damit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die noch erforderlichen Feststellungen getroffen werden können. Zwar hat das Landgericht zu der Frage, welche Vergütung ursprünglich vereinbart war, eine Beweisaufnahme durchgeführt. Das Berufungsgericht hat sich damit aber von seinem Standpunkt aus folgerichtig nicht befasst. Das wird nachzuholen sein. Hätten die Gesellschaften nämlich erst nachträglich vereinbart, dass die Beklagte eine höhere als die ursprünglich abgesprochene Vergütung zahlen sollte, würde das der Annahme einer Kreditunwürdigkeit im Jahr 2006 nicht entgegenstehen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. Oktober 2011 – II ZR 18/10