Kommunale Gremien können gegenüber ihren Vertretern in einem fakultativ errichteten Aufsichtsrat eines Versorgungsunternehmens, das als Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert ist und an dem die Kommune eine Mehrheitsbeteiligung hält, auch dann weisungsbefugt sein, wenn dies im Gesellschaftsvertrag nicht explizit verankert ist.
In dem jetzt vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Verfahren sind die Kläger Mitglieder des beklagten Rates der Stadt Siegen und auf dessen Vorschlag von der Gesellschafterversammlung der Siegener Versorgungsbetriebe GmbH (SVB) gewählte Mitglieder im Aufsichtsrat dieses Unternehmens. Sie wenden sich gegen Weisungen, Aufträge und andere Maßnahmen des Beklagten im Hinblick auf ihre Aufsichtsratstätigkeit, durch die sie die freie, am Wohl der Gesellschaft orientierte Ausübung ihrer Aufsichtsratsmandate gefährdet sehen. Ihre Klage mit dem Ziel festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt sei, ihnen Weisungen oder das Stimmrecht im Aufsichtsrat berührende Aufträge zu erteilen, blieb sowohl erstinstanzlich vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg wie auch in der Berufungsinstanz vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster erfolglos. Und auch das Bundesverwaltungsgericht wies ihre Revision nun zurück:
Seit dem Jahr 2005 war es zwischen den Parteien insbesondere bei der Preisfestsetzung der SVB mehrfach zu Divergenzen über die Zulässigkeit von Weisungen des Stadtrats gegenüber vom Rat vorgeschlagenen Mitgliedern des Aufsichtsrats der GmbH gekommen. Versuche der Stadt, den Gesellschaftsvertrag dahingehend zu ändern, dass ihr ausdrücklich ein Weisungsrecht gegenüber diesen Aufsichtsratsmitgliedern eingeräumt wird, scheiterten am Widerstand des zweitgrößten Gesellschafters, ohne dessen Mitwirkung die Stadt nicht über die erforderliche 75 %-Mehrheit verfügt. Die Stadt stützt sich bei der Annahme ihres Weisungsrechts auf § 113 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW), demzufolge die Vertreter der Gemeinde in Gesellschafterversammlungen, Aufsichtsräten etc. von juristischen Personen, an denen die Gemeinde unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, die Interessen der Gemeinde zu verfolgen haben und an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden sind.
Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Weisungsgebundenheit der kommunalen Vertreter auf Grund des Gesellschaftsvertrages bejaht. Das kommunale Weisungsrecht gemäß § 113 GO NRW steht unter dem Vorbehalt, dass nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Eine solche andere gesetzliche Regelung stellt § 52 Abs. 1 GmbHG dar, demzufolge auf einen fakultativen, d. h. (nur) nach dem Gesellschaftsvertrag zu bestellenden Aufsichtsrat verschiedene Vorschriften des Aktiengesetzes, unter anderem die über die Weisungsfreiheit der Aufsichtsratsmitglieder, entsprechend anzuwenden sind, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist. Hier hatte der Gesellschaftsvertrag die Vorschriften des Aktiengesetzes abbedungen, aber zur Frage des Weisungsrechts keine ausdrückliche Regelung getroffen. Daher ist im Wege der Vertragsauslegung zu prüfen, was der Gesellschaftsvertrag an Stelle der aktienrechtlichen Vorschriften regeln wollte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gemeinde bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages im Zweifel die gesetzlichen Voraussetzungen an die kommunalrechtliche Zulässigkeit ihrer Beteiligung an einer derartigen Gesellschaft einhalten wollte. Mit den kommunalrechtlichen Vorschriften ist ein Regelungssystem vorhanden, auf das als Auslegungshilfe für den Gesellschaftsvertrag zurückgegriffen werden kann. Da sich die Gemeinde gemäß § 108 Abs. 5 Nr. 2 GO NRW nur dann an einer GmbH mit einem fakultativen Aufsichtsrat beteiligen darf, wenn durch die Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages sichergestellt ist, dass der Rat den von der Gemeinde bestellten oder auf Vorschlag der Gemeinde gewählten Mitgliedern des Aufsichtsrats Weisungen erteilen kann, ist davon auszugehen, dass die Gesellschafter die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine Relevanz dieser Weisungen im Gesellschaftsvertrag schaffen wollten. Deshalb ist der Ausschluss der Vorschriften des Aktiengesetzes durch den Gesellschaftsvertrag dahin auszulegen, dass stattdessen ein Weisungsrecht des Beklagten gegenüber den Klägern für die Wahrnehmung ihrer Rechte als Mitglieder des Aufsichtsrats bestehen soll.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31. August 2011 – 8 C 16.10